Der radikale Konstruktivismus – Teil 2
Welche Geschichte erzählst du dir?
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Welche Bedeutung geben wir der Welt und welche Geschichte erzählen wir uns?
Bedeutung und Geschichten
Unsere erlebte Realität ist eine Abbildung dessen, was unsere Sinne in der Lage sind wahrzunehmen. All die Dinge wie grün, hell, dunkel, warm, kalt, laut, leise usw. sind Übersetzungen (=Konstruktionen) unserer Sinnesreize durch unser Gehirn in das, was wir erleben. So weit, so logisch.
Wenn aber schon diese sehr konkret erlebbaren Wahrnehmungen konstruiert sind, was heißt das dann über so Dinge wie Wahrheit, Schönheit, das Gute? Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Wahrheit und all diese Dinge wie gut, böse, falsch, schön, wundervoll usw. gibt es da draußen nicht, sie existieren nur in dir! Da „draußen“ sind die Dinge bedeutungslos. Damit Bedeutung entsteht, braucht es jemanden, der die Bedeutung gibt. Und das bist, in Bezug auf dich, du selbst – niemand anders.
Leslie Cameron-Bandler formulierte es so: Dass unsere subjektiv erlebte Realität…
„…eine Repräsentation (Darstellung) der Erfahrung ist, wie eine Landkarte eine Darstellung eines Territoriums ist. Ich bin mir zwar sicher, dass ihr mit der Vorstellung, dass die Landkarte nicht das Gebiet ist, vertraut seid, doch ich frage mich, ob ihr euch vollkommen darüber im Klaren seid, dass wir als Menschen für immer und ewig nur die Landkarte und nicht das Territorium erleben. Für uns Therapeuten, die wir Leuten helfen, sich zu verändern, wirkt sich das zum Vorteil aus. Wir verändern nur Landkarten; d.h. wir verändern, wie die Leute die Welt subjektiv erleben, und nicht die Welt.“
Bedeutung als grundlegendes Prinzip von Bewusstsein
Das, was zwischen uns und der Realität steht, sind zum einen die neurologischen Filter und zusätzlich noch die Bedeutungen, die wir dem Input unserer Sinnesorgane hinzufügen. Das Prinzip der Bedeutungsgebung ist der Grundstein von Bewusstsein. Selbst Mehrzeller haben bereits die Fähigkeit, ihre Umgebung wahrzunehmen und dem Wahrgenommenen, wenn auch auf sehr primitiver Ebene, eine Bedeutung zu geben.
Gregory Batesons Definition von Lernen ist „einen Unterschied zu machen, wo zuvor keiner war.“ Unterscheiden zu können, ist der Beginn von Bedeutungsgebung und Bedeutungsgebung ist ein grundlegendes Prinzip, dass allen Lebewesen in unterschiedlicher Ausprägung gemein ist.
Wenn wir eine Sonnenblume sehen, laufen verschiedenste Bedeutungsgebungen ab. Hier ein grob vereinfachter Auszug: Die erste Bedeutung, die wir geben, ist, dass wir die Sonnenblume als etwas Getrenntes betrachten, sie also von ihrer Umwelt unterscheiden. Die zweite Bedeutungsgebung ist, dass wir sie aufgrund ihrer Struktur als Sonnenblume erkennen und sie als solche bezeichnen. Die dritte Bedeutungsgebung ist, dass wir nun unsere kulturell vermittelten und individuell erworbenen Erfahrungen mit Sonnenblumen assoziieren „Sonnenblumen sind schön, nützlich usw.“.
All diese Bedeutungen geben wir weitgehend unbewusst, im Bruchteil einer Sekunde. Gelernt haben wir diese Bedeutungen zum großen Teil in unserer Kindheit und Jugend. Beeinflusst wurden wir dabei von unserem kulturellen und familiären Umfeld und durch unsere persönlichen Erfahrungen.
Das, was dabei herausgekommen ist, ist ein Weltbild, welches auf diesem Planeten absolut einzigartig ist. Es gibt keine zwei Menschen, die auf diesem Planeten die gleiche Bedeutung geben. Wie auch? Wir beziehen unsere Bedeutung ja aus unseren individuellen Erfahrungen, die wir durch unsere einzigartige Neurologie erlebt haben. Wenn wir die Welt wahrnehmen, so sehen wir sie immer durch unsere einzigartige Brille der Bedeutungen.
Warum geben wir Bedeutung?
Die Fähigkeit Bedeutung zu geben, ist nützlich für das Überleben. Stell dir nur einmal vor, wie es wäre, wenn du deine Umwelt komplett frei von Bedeutung wahrnehmen würdest. Es wäre eine Welt, die dich in einem komplett bedeutungsfreien Zustand ohne Motivation für Handlungen zurücklassen würde. Deine Wahrnehmung wäre ein undefinierter Strom an Erfahrung, ohne jegliche Unterscheidung zwischen den Dingen. Einen Stuhl vom Boden zu unterscheiden ist ein Ergebnis von Bedeutungsgebung. Zu wissen, dass es keine gute Idee ist, eine heiße Herdplatte anzufassen ebenfalls.
Bedeutung zu geben, ist also enorm nützlich, gibt uns Klarheit und vereinfacht unsere Interaktion mit der Umwelt. Doch wo immer Bedeutung gegeben wird und Regeln entstehen, werden auch Informationen weggelassen oder hinzugedichtet. Und dies kann nützlich sein oder auch hinderlich. Einmal angenommen, ein Schüler erlebt mehrfach, dass er in Mathe ein Thema nicht so schnell versteht, wie andere. Die Bedeutung, die er dem geben könnte, ist: „Mathe ist schwer“, „Ich kann Mathe nicht“, „Ich bin nicht so gut, wie die anderen“, „Mathe macht keinen Spaß“.
Indem er diese Bedeutungen gibt, wird er jedoch gleichzeitig blind für alternative Wahrheiten. Aus den Bedeutungen, die er diesen Ereignissen gibt, formt sich eine Geschichte, die er sich nun vielleicht zu diesem Thema erzählt und die ihn, sofern er sie nicht überprüft, lange begleiten wird.
Geschichten, die wir uns erzählen
Die Geschichten, die wir uns erzählen, haben also sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Vorteil ist, dass sie unser Leben strukturieren und durch ihre Regeln erleichtern. Wir müssen nicht über alles neu nachdenken, da wir bereits eine Meinung dazu haben. Der Nachteil ist, dass diese Geschichten der Komplexität unserer Welt selten gerecht werden und wir andere, womöglich hilfreichere, Geschichten ausblenden.
Hier eine kleine Geschichte von Stephen R. Covey:
„Die Passagiere [in der U-Bahn] saßen still da, manche lasen Zeitung, andere waren in Gedanken versunken, einige hatten die Augen geschlossen und ruhten sich aus. Es war eine ruhige, friedliche Szene.
Dann stieg ein Mann mit seinen Kindern ein. Die Kleinen waren laut und ungestüm, die ganze Stimmung änderte sich abrupt. Der Mann setzte sich neben mich und machte die Augen zu.
Er nahm die Situation offenbar überhaupt nicht wahr. Die Kinder schrien herum, warfen Sachen hin und her, zerrten sogar an den Zeitungen der anderen Fahrgäste. Sie waren sehr störend. Aber der Mann neben mir unternahm nichts.
Es war schwierig, nicht davon irritiert zu sein. Ich konnte nicht fassen, dass er so teilnahmslos war, dass er seine Kinder dermaßen herumtoben ließ und nichts dagegen tat, überhaupt keine Verantwortung übernahm. Es war deutlich, dass sich auch alle anderen in der U-Bahn ärgerten.
Mit, aus meiner Sicht, ungewöhnlicher Geduld und Zurückhaltung sprach ich ihn schließlich an: „Ihre Kinder stören wirklich sehr viele Leute hier. Könnten sie sie nicht vielleicht etwas mehr unter Kontrolle bringen?“
Der Mann hob die Augen, als ob er sich zum ersten Mal der Situation bewusst wurde, und sagte leise: „Oh. Sie haben Recht, ich sollte etwas dagegen tun. Wir kommen gerade aus dem Krankenhaus, wo ihre Mutter vor einer Stunde gestorben ist. Ich weiß nicht, was ich denken soll und die Kinder haben vermutlich auch keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen.“
Können sie sich vorstellen, was ich in dem Augenblick empfand? Mein Paradigma wechselte. Plötzlich sah ich die Dinge anders …“
Das, was hier in der Geschichte sehr plakativ dargestellt wird, findet in deinem Leben jede einzelne Minute mehrfach statt. Du erzählst dir andauernd Geschichten! Und die Geschichten, die du dir erzählst, bestimmen, wie du dich fühlst, wie du handelst und wie du die Welt um dich herum gestaltest.
Die selbsterfüllende Prophezeiung
Der wohl entscheidendste Teil ist, dass sich die Welt in der du lebst, zu einem großen Teil so entwickelt, wie du sie siehst. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass ein Mensch, der der festen Überzeugung ist „Menschen mögen mich. Ich bin beliebt.“ die Welt komplett anders wahrnimmt, als ein Mensch, der denkt „Menschen finden mich komisch. Ich bin Anderen unangenehm“. Die gleiche Situation, zum Beispiel ein Vortrag, würde von diesen beiden Menschen komplett anders mit Bedeutung versehen und emotional wahrgenommen werden. Die Folge ist, dass sie sich verschieden verhalten, sich die Situation entsprechend entwickelt und meistens genau die Bewertungen bestätigt werden, die das entsprechende Verhalten ausgelöst haben. Die Geschichte, die sie sich erzählen, manifestiert sich so in der „Realität“ und bestätigt sich selbst.
Folgendes Zitat von Ford Henry fasst das Prinzip gut zusammen:
„Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.“
Wahrheit ist nichts objektives! Bedenke einfach mal, was für Geschichten du dir in verschiedenen Bereichen deines Lebens erzählst. Was du für wahr hältst, für falsch, für machbar, für gut, für verwerflich, für erstrebenswert usw. Und mach dir dabei bewusst, dass es diese Geschichten sind, die dein Erleben und deine Welt formen!
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Übungen
1. Nimm dir eine Alltagssituation, die dir immer wieder begegnet und dir unangenehm ist. Was erzählst du dir für eine Geschichte über diese Situation und die beteiligten Akteure? Was für ein Gefühl macht dir diese Geschichte? Welche Geschichte, die genauso plausibel sein könnte, könntest du dir stattdessen erzählen?
2. Was erzählst du dir für Geschichten in Bezug auf:
- Veränderung?
- Glück?
- Den Sinn des Lebens?
- Spiritualität?
- Deinen Partner, Kind, Eltern?
- Liebe?
- Arbeit und Geld verdienen?
- Dich?
Sind es Geschichten, welche die dir hilfreich erscheinen? Wenn nein, welche andere Geschichte könnte ebenfalls wahr, aber hilfreicher sein?
Videos
- Hier gibt es eine sehr gut recherchierte Einführung in den Konstruktivismus vom Bayrischen Rundfunk. Im Beitrag gibt es viele Zitate und Ausführungen wichtiger Begründer des Konstruktivismus und viele Erläuterungen vom systemischen Familientherapeut Fritz B. Simon.
(21 Minuten – https://www.youtube.com/watch?v=dNuOFvL2gAA)
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