Viele Menschen kennen Situationen, in denen sie zu erledigende Aufgaben bis zur letzten Minute aufschieben oder ganz vermeiden. Dieses sogenannte Prokrastinieren ist ein Verhalten, das die meisten Menschen hin und wieder an den Tag legen und das unterschiedliche Gründe und Folgen haben kann. In diesem Beitrag erfährst du, welche Ursachen Prokrastination haben kann und was in unserem Gehirn geschieht, wenn wir anstehende Aufgaben aufschieben und andere Tätigkeiten vorziehen. Du erfährst, welche Wege es gibt, um häufiges Aufschieben zu überwinden und dich von dem Gefühl zu lösen, festzustecken und nicht voranzukommen.
Warum wir To-dos aufschieben
Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen zu erledigende Aufgaben aufschieben und stattdessen andere Tätigkeiten vorziehen. Zunächst schauen wir uns an, wann es einen positiven Nutzen haben kann, etwas aufzuschieben:
- zum Priorisieren von Aufgaben, um sich auf das zu konzentrieren, was momentan wichtig und dringend ist.
- zur Vermeidung von Burnout, indem uns das Aufschieben eine temporäre Pause von einer langwierigen Aufgabe oder einem Projekt verschafft.
- zur Steigerung der Kreativität – eine Unterbrechung kann dazu führen, dass wir mit einer neuen Perspektive, neuen Ideen und Lösungen zur Aufgabe zurückkehren.
- vorübergehendes Senken des empfunden Stresspegels, indem wir uns bewusst von einer anstehenden Aufgabe ablenken und Stress gezielt abbauen (z. B. durch Sport, soziale Kontakte, Meditation).
Verschieben wir vereinzelt Erledigungen auf später oder ziehen wir andere Tätigkeiten vor, die uns mehr Freude oder Entspannung schenken oder leichter zu erledigen sind, kann uns dies kurzfristig entlasten und negative Gedanken und Gefühle verringern und so Stress abbauen. Ein Aufschieben kann auch gezielt genutzt werden, um die Produktivität zu steigern, indem dringende Aufgaben vorgezogen werden. Bei diesem eher sporadischen und einmaligen Aufschieben spezifischer Aufgaben oder Ziele sind die positiven Effekte jedoch nur vorübergehend.
Dahingegen erleben die meisten Menschen immer wieder Situation, in denen das Aufschieben unbewusst geschieht und mit negativen Konsequenzen und Gefühlen einhergeht. Versäumte Fristen oder sich anstauende Aufgaben führen häufig zu unangenehmen Gefühlen wie Stress, Druck oder Überforderung.
Prokrastination kann hier als Indikator für mangelnde Akzeptanz beziehungsweise fehlenden inneren Konsens über eine (uns übertragene) Aufgabe gesehen werden. Gemeint ist hiermit unser Einverständnis, sich an einer bestimmten Aufgabe oder Situation zu beteiligen – die innere Vereinbarung, die wir mit uns selbst treffen, um eine Aufgabe zu erledigen. Wenn wir etwas verschieben oder ganz vermeiden, kann das folglich ein Zeichen dafür sein, dass unsere innere Zustimmung zur Erledigung der jeweiligen Aufgabe fehlt. Es fällt uns dann schwer, ins Tun zu kommen, wir lassen uns leicht ablenken oder sind versucht, etwas Anderes zu tun, dass uns mehr liegt oder leichter fällt. Für ein solches Aufschieben aus mangelnder Übereinstimmung kann es verschiedene Gründe geben:
- Desinteresse an der Aufgabe, dem Thema, der Situation.
- unklare Vorstellung von bzw. fehlende Übereinstimmung mit unseren Werten und Zielen.
- Gefühl der Überforderung, wenn Aufgaben als zu groß oder komplex empfunden werden.
- Gefühl der Überforderung, wenn wir (noch) nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen.
- Angst vor Misserfolgen, Aufgaben nicht gut genug zu erledigen oder für Ergebnisse verurteilt zu werden.
- zu hohe Ansprüche an sich selbst stellen (Perfektionismus).
Fehlt uns das Interesse an einer Aufgabe oder stehen unsere Werte oder Ziele nicht damit in Einklang, mangelt es uns oft an Motivation. Haben wir hingegen das Gefühl, dass wir einer Aufgabe nicht gewachsen sind oder stellen wir zu hohe Ansprüche an uns selbst, kann uns dies blockieren, eine Aufgabe zu beginnen und weiter zu verfolgen.
Negative Folgen des Prokrastinierens
Wird wiederholtes Aufschieben zur Gewohnheit, kann das dazu führen, dass wir in eine negative Spirale aus unangenehmen Gefühlen, zunehmendem Motivationsverlust und Vermeidungsverhalten geraten. Dies kann sich wiederum negativ auf unsere psychische Gesundheit und unsere allgemeine Produktivität auswirken.
Werden beispielsweise Fristen häufiger nicht eingehalten, kann dies zu Schuldgefühlen oder Versagensangst führen, was sich wiederum auf unsere Leistungen auswirken kann. Prokrastination kann bei wiederholtem, unbeabsichtigtem Aufschieben als habitualisiertes, also erlerntes Aufschiebeverhalten verstanden werden. Es erzeugt beim Betroffenen Leiden und zieht negative Konsequenzen nach sich. Das Gefühl festzustecken und nicht voranzukommen, kann zu Frustration, Hilflosigkeit und auch Depression führen.
Meist fehlt es hier an Strategien zur Selbststeuerung, um mit den an uns gerichteten Anforderungen umgehen und Aufgaben gezielt angehen zu können. Die gute Nachricht ist, dass dieser erlernte Bewältigungsmechanismus auch wieder „verlernt“ werden kann. Wir können individuelle Strategien entwickeln, die uns zum Beispiel dabei helfen, Aufgaben in kleine Einzelschritte zu zerlegen, unsere verfügbare Zeit besser zu verwalten oder achtsamer mit uns und herausfordernden Situationen umzugehen.
Die Physiologie der Prokrastination
Um besser nachzuvollziehen, warum wiederholtes Aufschieben langfristig zu Problemen führen kann, lohnt sich ein Blick auf das Belohnungssystem unseres Gehirns. Dieses steuert die Regulierung unserer Motivation und unseres Antriebs, wobei das Glückshormon Dopamin eine zentrale Rolle spielt. Dieser Neurotransmitter wird ausgeschüttet und vermittelt uns ein Gefühl der Zufriedenheit und Freude, wenn wir eine anstehende Aufgabe ausführen und beenden. Dies stärkt wiederum unsere Motivation, die Aufgabe zu erledigen und ermutigt uns, auf unsere Ziele hinzuarbeiten.
Schieben wir hingegen eine Aufgabe auf oder vermeiden sie gänzlich, wird das Belohnungssystem nicht aktiviert. Dies kann dazu führen, dass die Motivation sinkt und uns der nötige Antrieb fehlt, eine Aufgabe zu beginnen oder fortzuführen. Neue Studien haben zudem ergeben, dass Prokrastinieren mit einer Veränderung im präfrontalen Kortex einhergeht – dem Teil des Gehirns, der für die Entscheidungsfindung und Selbstkontrolle zuständig ist. Verschieben wir häufig To-dos, wird dieses Hirnareal weniger aktiviert, wodurch es schwerer wird, Entscheidungen zu treffen und unsere Impulse zu kontrollieren. Wir lassen uns leichter ablenken und es fällt uns zunehmend schwer, uns auf Wichtiges zu konzentrieren.
Des Weiteren steht Prokrastinieren mit Veränderungen im Stressreaktionssystem unseres Gehirns in Verbindung. Werden bestimmte Aufgaben immer wieder verschoben und andere Tätigkeiten vorgezogen, können chronischer Stress und Ängste entstehen. Dies verstärkt die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA) – ein System, das die Stressreaktion unseres Körpers reguliert. Häufiges Prokrastinieren führt folglich zu einem negativen Kreislauf aus Stress und Angst, was die Bewältigung des Vermeidungsverhaltens zusätzlich erschwert.
Strategien zum Überwinden von Prokrastination
Wenn wir das Gefühl haben, dass das Aufschieben bestimmter Aufgaben negative Auswirkungen auf uns und unser Leben hat, lohnt es sich, Strategien zu entwickeln, die uns helfen, das Gefühl des Feststeckens zu überwinden.
Ein umfassender Ansatz zur Überwindung von Prokrastination wurde von Britt Frank entwickelt, Coach und Autorin des Buches „The Science of Stuck: Breaking Through Inertia to Find Your Path Forward“. Bei der Entwicklung hilfreicher Strategien zum Umgang mit Aufschiebeverhalten zog sie Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, der Psychologie und der Achtsamkeitspraxis heran. Folgende zentralen Bewältigungsmechanismen können helfen, unser Wohlbefinden und unsere Produktivität zu steigern:
- Erkennen der Ursachen fürs Aufschieben,
- klare Ziele definieren,
- Aufgaben in kleine Teilschritte unterteilen,
- effizientes Zeitmanagement umsetzen,
- Achtsamkeit zur Selbstfürsorge üben,
- Perspektivwechsel durch Selbstreflexion fördern,
- Unterstützung holen.
Ursachen erkennen
Zunächst ist es sinnvoll zu erkennen, in welchen Situationen wir prokrastinieren beziehungsweise welche konkreten Aufgaben wir wiederholt aufschieben und aus welchen Gründen. Das Erkennen der Ursache des Aufschiebens steht an erster Stelle. Wenn du zum Beispiel ein Arbeitsprojekt aufschiebst, frage dich warum: Habe ich Angst zu scheitern? Fehlen mir wichtige Hintergrundinformationen oder Fähigkeiten? Überfordert mich der Umfang des Projekts? Bin ich unsicher, wo ich anfangen soll? Dabei ist es auch wichtig zu verstehen, welche Ziele und Werte dich eventuell daran hindern, deine volle Zustimmung zum Projekt zu geben. Erst wenn wir verstanden haben, was die Ursache fürs Aufschieben einer spezifischen Aufgabe ist, können wir Strategien erarbeiten, um ein Feststecken zu überwinden.
Stellst du zum Beispiel fest, dass du dich für das Themengebiet eines bestimmten Projekts nicht begeistern kannst, ist es hilfreich, Wege zu finden, um die Aufgabe interessanter oder angenehmer zu gestalten. Beispielsweise könntest du dir vorab eine Belohnung überlegen, die du nach Erledigen der (Teil-)Aufgabe erhältst. Oder vielleicht hilft es dir auch, Musik anzumachen, die deine Konzentration fördert, während du der Aufgabe nachgehst.
Ziele definieren
Ein wichtiger Aspekt des Ansatzes von Britt Frank ist die Anwendung von Zielsetzungstechniken. Dazu kann gehören, eine große Aufgabe in mehrere kleine, leichter zu bewältigende Teilschritte zu unterteilen, Fristen zu setzen und seinen individuellen Fahrplan zur Verfolgung der Teilziele zu visualisieren – zum Beispiel in Form einer Zeitachse, auf der Fristen und Teilziele festgehalten werden. So kannst du deine Fortschritte besser sehen und dich so leichter motivieren, auf dein Aufgabenziel hinzuarbeiten. Beginne mit dem kleinstmöglichen Schritt, den du machen kannst, um mit der Aufgabe zu beginnen – zum Beispiel mit der Recherche zu einem bestimmten Thema.
Zeitmanagement umsetzen
Eine weitere wichtige Maßnahme zur Überwindung von Prokrastination ist das Einführen eines effizienten Zeitmanagements. Ziel ist es dabei, Stress und Überforderung zu vermeiden, indem die zur Verfügung stehende Zeit besser genutzt wird. Haben wir bereits unseren individuellen Zeitplan zur Erreichung unseres Ziels erstellt, können wir förderliche Gewohnheiten etablieren, die unsere Produktivität und unser Wohlbefinden steigern. Zum Beispiel indem wir uns aneignen (Teil-)Aufgaben zu priorisieren, jeden Morgen eine To-do-Liste für den heutigen Tag zu erstellen oder indem Pausen fest eingeplant werden, in denen wir uns gezielt entspannen.
Es kann auch nützlich sein, sich feste Arbeitszeiten einzuplanen und konkret zu überlegen: Wann möchte ich anfangen zu arbeiten? Wie lange möchte ich heute arbeiten? Nach welcher Zeit möchte ich eine Pause machen und wie lang soll diese sein? Welches Ziel setze ich mir für heute? Indem wir vorab die Zeit begrenzen, in der produktiv gearbeitet wird, hat das den positiven Effekt, dass wir uns nicht zu viel vornehmen, unsere Zeit effizienter nutzen und so Erfolgserlebnisse schaffen. Feste, ritualisierte Arbeitszeiten können insbesondere dann helfen, wenn es uns schwerfällt, mit einer Aufgabe zu beginnen. Du könntest dir etwa eine Viertelstunde bevor die Arbeitszeit beginnt, einen Wecker stellen. In dieser Viertelstunde kannst du dann alles tun, was dich darin unterstützt, dich auf die Aufgabe vorzubereiten und konzentriert dabei zu bleiben – z. B. Lüften, einen Tee kochen, noch einmal auf die Toilette gehen, Musik zur besseren Konzentration auflegen usw.
Achtsamkeit üben
Ein weiterer Faktor zur Vermeidung von Stress und Überforderung ist Selbstfürsorge, indem wir Übungen zur Förderung der Achtsamkeit regelmäßig in unseren Alltag integrieren. Dabei geht es besonders darum, sich Zeitinseln zu schaffen, die uns Erholung schenken und uns helfen, unsere Resilienz zu steigern. Indem wir Achtsamkeit üben, verbessern wir unsere Selbstwahrnehmung und eignen uns Techniken an, die uns effektiv dabei helfen, Stress, Ängste und negative Gedanken und Gefühle zu reduzieren und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Dazu können Praktiken wie Atemübungen, Körperwahrnehmungsübungen oder verschiedene Meditationstechniken angewendet werden. Indem wir unsere Selbstwahrnehmung verbessern, erkennen wir auch leichter individuelle Auslöser für das Aufschieben spezifischer Aufgaben und können gezielt Maßnahmen ergreifen, um ins Tun zu kommen.
Selbstreflexion nutzen
Ebenso können wir gezielt Übungen zur Selbstreflexion nutzen, um etwa hinderliche Gewohnheiten und Verhaltensmuster zu erkennen, sich frühere Erfolge vor Augen zu führen und vermeintliche Misserfolge zu überdenken und als natürlichen Lernprozess anzunehmen. Erkennen wir in uns ein Bedürfnis nach Perfektion, rät Britt Frank dazu, sich auf den Fortschritt einer Aufgabe zu konzentrieren und bewusst kleine Erfolge zu feiern.
Indem wir unser Verhalten in früheren und gegenwärtigen Situationen reflektieren, können wir Strategien ableiten, die uns dabei helfen, förderliche Verhaltensmuster zu entwickeln, um wiederholtes Aufschieben zu überwinden. Zudem haben wir die Chance, eine Situation neu zu betrachten und uns auf deren positive Aspekte zu konzentrieren und darin Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Dieser Perspektivwechsel kann uns darin unterstützen, sich vom Gefühl des Feststeckens zu lösen und eine proaktivere Denkweise zu entwickeln.
Unterstützung holen
Zu guter Letzt kann das Gefühl nicht voranzukommen auch ein Zeichen dafür sein, dass wir Unterstützung von anderen benötigen. Frage dich, wer dir bei deiner Aufgabe helfen könnte, und hole dir Rat und Hilfe von Kollegen, Freunden oder Verwandten. Vielleicht ziehst du auch in Erwägung, dir professionelle Unterstützung von einem Coach oder Therapeuten zu holen. Diese können dir dabei helfen, deine Ressourcen zu aktivieren und individuelle Strategien zu entwickeln, um das Gefühl des Feststeckens und dein Aufschiebeverhalten zu überwinden.
Fazit
Prokrastinieren kann gezielt genutzt werden, um die eigene Produktivität oder Kreativität kurzfristig zu steigern oder Stress abzubauen. Wiederholtes, unbewusstes Aufschieben hingegen hat jedoch oft negative Folgen für unsere psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, förderliche Strategien und Gewohnheiten zu etablieren, die dabei helfen, den negativen Kreislauf aus Stress, Angst und Aufschiebeverhalten zu durchbrechen. Mithilfe von effektivem Zeitmanagement, Selbstreflexion und Achtsamkeit gelingt es, die Ursachen des Aufschiebens zu erkennen, Zeit effektiver zu nutzen, persönliche Ziele zu erreichen und seine Resilienz und sein Wohlbefinden zu stärken.
Quellen:
Frank, B. (2022). The Science of Stuck: Breaking Through Inertia to Find Your Path Forward. TarcherPerigee.
Höcker, A. & Engberding, M. & Rist, F. (2021). Heute fange ich wirklich an!: Prokrastination und Aufschieben überwinden. Hogrefe Verlag.
National Geographic – Hentsch, A.-K. (2020). Prokrastination: Wann Aufschieben krankhaft wird.
https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2020/10/prokrastination-wann-aufschieben-krankhaft-wird
Schuhmacher, B. (2022). Selbstwirksamkeit, Selbstregulation und Prokrastination – Überprüfung eines Mediationsmodells. iwp Schriftenreihe der FOM, Band 11.
https://www.econstor.eu/bitstream/10419/262146/1/1807835944.pdf
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