In der Welt des Coachings gibt es zahlreiche Modelle und Ansätze, die Menschen dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen und ihr persönliches Wachstum zu fördern. Einer dieser Ansätze, der sich als besonders effektiv erwiesen hat, ist das GROW-Modell. In diesem Artikel werden wir uns mit dem GROW-Modell und seiner Anwendung im Coaching beschäftigen.
Für jeden Coach ist es hilfreich, Coaching-Modelle zu kennen und diese zu nutzen, um die eigenen Coachingsitzungen zu strukturieren. Beispiele für Coaching-Modelle sind das OSKAR-Modell, CLEAR-Modell, ACHIEVE-Modell oder PRACTICE-Modell, die wir dir im letzten Blogartikel kurz vorgestellt haben. Besonders großer Beliebtheit erfreut sich das GROW-Modell, das inzwischen mehrfach weiterentwickelt wurde und dessen Wirksamkeit empirisch belegt ist. Laut Umfragen nutzen fast die Hälfte der befragten Coaches das GROW-Modell als Basis für ihre Coachings1.
Was ist das GROW-Modell?
Das GROW-Modell wurde in den 1980er Jahren von Graham Alexander, Alan Fine und Sir John Whitmore entwickelt. Es ist ein strukturierter Coaching-Ansatz, der darauf abzielt, Klienten dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu identifizieren, ihre Optionen zu erkunden, realistische Pläne zu entwickeln und ihre Fortschritte zu überwachen. Das Akronym „GROW“ steht für die vier Phasen des Modells:
- Goal (Ziel)
- Reality (Realität)
- Options (Optionen)
- Way forward (Weg), manchmal auch als Wrap-Up (Nachbereitung) oder Will (Wille) bezeichnet
Einsatz des GROW-Modells im Coaching
Das GROW-Modell unterstützt einen ziel- und lösungsorientierten Coachingansatz und ist für den Einsatz in verschiedenen Coachingsettings und -kontexten geeignet. Es kann für die Bearbeitung von persönlichen als auch beruflichen Coachingthemen hilfreich sein. Ebenso kann das GROW-Modell im Selbstcoaching angewendet werden. Eine Studie mit über 100 Schulleitern hat gezeigt, dass ein 9-wöchiges Online-Coachingprogramm mithilfe des GROW-Modells das Wohlbefinden der Teilnehmer deutlich verbesserte2. Das GROW-Coaching zeigte auch langfristig Wirkung. Drei Monate nach der Intervention blieb der Effekt auf das Wohlbefinden erhalten.
Ablauf eines GROW-Coachings
Phase 1: Zielsetzung
In der ersten Phase identifiziert der Klient das Hauptziel, das er erreichen möchte. Der Coach unterstützt den Klienten dabei, sich zu entscheiden und Klarheit über sein Ziel zu gewinnen. Das Ziel sollte präzise formuliert werden, um eine klare Ausgangsbasis für den Coaching-Prozess zu schaffen. In dieser Phase können auch verschiedene Zielplanungsmethoden genutzt werden, wie die SMART-Methode, die KRAFT-Methode oder die ALPEN-Methode.
Fragen für die Zielklärung:
- Was soll das Ergebnis dieser Sitzung sein?
- Was möchtest du erreichen?
- Was ist dein wichtigstes Ziel? Was macht dieses Ziel so wichtig für dich?
- Was willst du wirklich?
- Wie viel Kontrolle und Einfluss hast du auf dein Ziel?
- Hängt der Erfolg nur von dir ab?
- Woran erkennst du, dass du dein Ziel erreicht hast?
Phase 2: Bewertung der Realität
Ist sich der Klient über sein Ziel im Klaren, wird in der nächsten Phase die aktuelle Situation analysiert. Dazu gehört ein ehrlicher Blick auf Stärken, Schwächen, Ressourcen und Herausforderungen. Diese Phase hilft, realistische Erwartungen zu setzen und die Ausgangssituation genau zu verstehen.
Fragen für den Realitätscheck:
- Wo stehst du momentan auf einer Skala von 1-10 in Bezug auf dein Ziel?
- Was hat bisher zu deinem Erfolg beigetragen? Welche Fortschritte hast du schon gemacht?
- Was hast du versucht, was nicht geholfen hat?
- Welche Fähigkeiten hast du bereits, die dir helfen, dein Ziel zu erreichen? Welche Fähigkeiten müsstest du entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen?
- Welche Ressourcen hast du bereits und welche fehlen dir noch für die Zielerreichung?
- Was steht der Zielerreichung noch im Weg?
- Was müsstest du aufgeben, um dein Ziel zu erreichen?
- Was würde passieren, wenn du dein Ziel nicht erreichst?
Phase 3: Optionen abwägen
In der dritten Phase werden verschiedene Optionen, Wege und Strategien erkundet, um das Ziel zu erreichen. Der Klient und der Coach entwickeln gemeinsam Ideen und wägen verschiedene Möglichkeiten ab. Im ersten Schritt sollten alle Ideen gesammelt werden, ohne sich zu begrenzen. Erst im zweiten Schritt wird geprüft, was die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen sind und welche realistisch umsetzbar sind.
Fragen für die Options-Phase:
- Was sind deine Optionen?
- Welche Strategien könnten dir helfen, deinem Ziel näher zu kommen?
- Welche Wege gibt es, um dein Ziel zu erreichen?
- Wenn alles möglich wäre, was würdest du tun? Was noch?
- Was hat dir in einer ähnlichen Situation schon einmal geholfen?
- Was müsstest du unterlassen, um dein Ziel zu erreichen?
- Wen könntest du um Rat fragen?
- Welche Vor- und Nachteile haben die unterschiedlichen Möglichkeiten?
- Wenn du alle Optionen abwägst, welche sind realistisch umsetzbar und bringen dich zum Ziel?
- Welche deiner Handlungsoptionen ist die vielversprechendste und warum?
Phase 4: Aktionen festlegen
Nachdem jede Option in Betracht gezogen wurde und alle Möglichkeiten abgewogen wurden, konzentriert sich die letzte Phase auf die Entwicklung eines konkreten Aktionsplans. Der Klient wählt aus den diskutierten Optionen diejenige aus, die am besten zum Ziel führt. Konkrete Schritte, Meilensteine und Zeitrahmen werden festgelegt, mit denen der Fortschritt überprüft werden kann. Es wird identifiziert was, wann, wer und warum getan werden soll.
Fragen für den Handlungsplan:
- Welche Optionen möchtest du umsetzen?
- Welche einzelnen Schritte musst du dafür gehen?
- Was sind Meilensteine auf deinem Weg?
- Wann wirst du damit beginnen?
- Wer kann dich dabei unterstützen? Wer sollte davon wissen?
- Woran wirst du erkennen, dass du erfolgreich warst?
- Wie wirst du sicherstellen, dass du aktiv wirst und dranbleibst?
- Was könnte dich daran hindern, weiterzumachen? Wie wirst du diese Hindernisse überwinden?
- Was ist noch wichtig für deinen Plan, was bisher nicht berücksichtigt wurde?
- Wie engagiert und motiviert bist du auf einer Skala von 1 bis 10, deinen Plan umzusetzen?
Die Sitzung endet in der Regel mit einem konkreten Handlungsplan und dem Commitment des Klienten, diesen umzusetzen.
Weiterentwicklungen des GROW-Modells
Im Laufe der Zeit und mit zunehmender Anwendung entdeckten Coaches Schwachstellen und Verbesserungspotential im GROW-Modell. Deshalb wurde das GROW-Modell weiterentwickelt. Zwei Weiterentwicklungen, die heute bekannt sind, sind das T-GROW und das RE-GROW-Modell.
T-GROW oder I-GROW
Der Buchstabe T in T-GROW steht für Topic. Manchmal wird diese Form auch als I-GROW (I für Issue) bezeichnet. Es kommt häufig vor, dass Klienten mit mehreren Problemen oder Themen ins Coaching kommen und über all diese Probleme oder Themen sprechen möchten. An dieser Stelle ist es wichtig, dass der Coach dies erkennt und den Klienten ein Thema auswählen lässt, mit dem begonnen wird. Ist das Thema bestimmt, kann das restliche GROW-Modell angewendet werden. Alle weiteren Themen werden als einzelne Coaching-Aufträge betrachtet und in weiteren GROW-Prozessen bearbeitet.
Fragen für die Themenfindung:
- Mit welchen Themen bist du heute hier?
- Was beschäftigt dich heute?
- Was möchtest du verändern?
- Was löst den größten Leidensdruck aus?
- Was ist dir momentan am wichtigsten?
- Was möchte als erstes angeschaut werden?
- Welches deiner Themen ist gerade besonders präsent?
RE-GROW
Da Themen oder Probleme, mit denen Klienten ins Coaching kommen, oftmals nicht in einer Sitzung abgeschlossen werden können, wurde das GROW-Modell erweitert. Für einen erfolgreichen Coachingprozess braucht es eine Verbindung zwischen den Sitzungen, damit die Coachings nicht zu einer Reihe von unzusammenhängenden Gesprächen werden. Auch das GROW-Modell konzentriert sich bisher, wie die meisten anderen Modelle, hauptsächlich auf die Strukturierung einer einzelnen Coachingsitzung. Das RE-GROW-Modell bezieht den iterativen Charakter und den fortlaufenden Prozess von Coachings ein. Dafür wurde das GROW-Modell um RE erweitert. R steht für Review (Überprüfung) und E für Evaluate (Bewertung).
In jeder Sitzung werden vor Anwendung des restlichen GROW-Modells die Auswirkungen der vorherigen Sitzung und die durchgeführten Maßnahmen überprüft und bewertet. Coach und Klient reflektieren also, welche Schritte der Klient umgesetzt hat und welche Strategien funktioniert haben und welche nicht. Anschließend kann der Handlungsplan nachjustiert werden oder die Überlegungen und Erkenntnisse in den nächsten GROW-Prozess mit einbezogen werden. Dieser Prozess ermöglicht eine Reflexion über die eigenen Fortschritte, setzt Lernprozesse in Gang und kann die Selbstwirksamkeit steigern.
Fragen für Überprüfung und Bewertung:
- Welche Erfahrungen hast du seit der letzten Sitzung gemacht?
- Welche Strategien hast du umgesetzt?
- Welche Strategien haben funktioniert und welche nicht?
- Welchen Schwierigkeiten bist du begegnet? Wie hast du Hindernisse überwunden?
- Welche Änderungen sollten wir vornehmen?
- Welche Erkenntnisse hast du gewonnen? Was hast du über dich selbst gelernt?
Das erweiterte RE-GROW-Modell ist außerdem offen für einen weniger linearen Verlauf. Wie wir im letzten Blogartikel bereits erläutert haben, verlaufen Coachings in der Praxis nicht einfach linear. Deshalb sieht das RE-GROW-Modell einen iterativen Prozess von Ziel, Realität, Optionen und Weg vor. Wenn sich in den verschiedenen Phasen neue Erkenntnisse ergeben oder sich Einwände zeigen, kann immer wieder zu einer vorherigen Phase gewechselt und nachjustiert werden. So hat der Coach die Möglichkeit, flexibel auf den Klienten und seine Bedürfnisse einzugehen und den Prozess gleichzeitig strukturiert zu steuern.
Fazit
Das GROW-Modell kann Menschen wirksam dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen und persönlich zu wachsen, egal ob im Coaching oder im Selbstcoaching. Aufgrund seiner klaren Struktur, seiner Zielorientierung und seiner Anpassungsfähigkeit ist das GROW-Modell ein unverzichtbares Instrument für jeden Coach. Wir möchten dich anregen, das GROW-Modell mit in dein nächstes Coaching zu nehmen oder für dich selbst und ein Thema, das dir am Herzen liegt, zu nutzen.
Quellen:
- Grant, A. M. (2011). Is it time to REGROW the GROW model? Issues related to teaching coaching session structures. The Coaching Psychologist, 7(2), 118-126.
- Okorie, C. O., Ogba, F. N., Amujiri, B. A., Nwankwo, F. M., Oforka, T. O., Igu, N. C., … & Iwuala, H. O. (2022). Zoom-based GROW coaching intervention for improving subjective well-being in a sample of school administrators: A randomized control trial. Internet Interventions, 29, 100549.
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