Warum fühlen sich manche Menschen resilient und zufrieden, während andere trotz äußerem Erfolg innere Leere und Sinnlosigkeit erleben? Was macht dagegen ein gelungenes Leben aus? Wie kann man diesen Zustand erreichen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Positive Psychologie – ein Forschungszweig, der systematisch untersucht, was ein erfülltes Leben ermöglicht. In diesem Artikel tauchen wir in die Kernkonzepte der Positiven Psychologie ein und stellen dir zwei ihrer wichtigsten Konzepte vor: das PERMA-Modell und den Zustand des „Flourishing“ (Aufblühen). Außerdem geben wir ein paar Impulse, wie du diese Forschungsergebnisse ganz praktisch nutzen kannst, um dein eigenes Wohlbefinden zu steigern.
Was ist Positive Psychologie?
Im Gegensatz zur traditionellen Psychologie, die sich oft auf das Behandeln von Defiziten und psychischen Erkrankungen konzentriert, richtet die Positive Psychologie den Fokus auf das, was jemand kann, ihm guttut und was im Leben gut läuft. Sie erforscht die Faktoren, die Menschen dabei helfen, ein glückliches, sinnvolles und erfülltes Leben zu führen – also nicht nur ein oberflächliches „Happy-sein“, sondern tiefgreifendes Wohlbefinden – das sogenannte Flourishing.
Martin Seligman, einer der Begründer der Positiven Psychologie, rief diesen Zweig 1998 ins Leben. Kernfrage der Positiven Psychologie ist: „Wie können Menschen nicht nur überleben, sondern aufblühen?“ Dabei geht es nicht nur um individuelles Glück, sondern auch um soziale und gesellschaftliche Dynamiken, die ein positives Miteinander fördern.
Das PERMA-Modell: Die 5 Säulen eines erfüllten Lebens
Seligman entwickelte das PERMA-Modell, das fünf zentrale Aspekte beschreibt, die zu einem langfristigen Wohlbefinden beitragen. Jeder dieser Aspekte ist messbar und bietet konkrete Ansätze, wie du deine Lebensqualität verbessern kannst.
1. Positive Emotionen (P – Positive Emotions)
Positivität ist ansteckend und bildet die Grundlage für Glück. Gefühle wie Freude, Dankbarkeit, Zufriedenheit und Liebe geben unserem Leben Leichtigkeit und Energie. Studien zeigen, dass positive Emotionen nicht nur für das momentane Wohlbefinden wichtig sind, sondern langfristig auch die physische Gesundheit fördern. Laut Fredricksons „Broaden-and-Build“-Theorie erweitern positive Emotionen unsere Wahrnehmung und fördern Kreativität sowie die Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern (Fredrickson, 2001). Ihre Idee ist, dass das Verhältnis von positiven zu negativen Emotionen mindestens 3:1 betragen sollte.
Tipp für dich: Führe ein Dankbarkeitstagebuch. Schreibe jeden Abend drei Dinge auf, für die du dankbar bist. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass diese einfache Übung das Wohlbefinden bereits nach zwei Wochen steigern kann (Emmons & McCullough, 2003).
Außerdem: Erweitere die obengenannte Übung, um den Punkt: „Was habe ich dazu beigetragen?“. Lenke deine Aufmerksamkeit auf das, was gut ist in deinem Leben. Praktiziere bewusstes Wahrnehmen schöner Momente. Genieße die kleinen Dinge im Leben.
2. Engagement (E – Engagement)
Engagement beschreibt einen Zustand, in dem du völlig in einer Tätigkeit aufgehst, in dem du so sehr in dieser Tätigkeit versunken bist, dass du Raum und Zeit vergisst. Mihaly Csikszentmihalyi hat dafür den Begriff „Flow“ geprägt und beschreibt ihn, als ein Erlebnis maximaler Konzentration und Hingabe an eine Aufgabe, die weder zu schwer noch zu leicht ist (Csikszentmihalyi, 1990). Er zeigte in seiner Forschung, dass Menschen im Flow-Zustand ihr höchstes Leistungsniveau erreichen und tiefe Zufriedenheit erleben.
Flow-Momente sind ein Schlüssel zu persönlicher Erfüllung und gehören zur aktiven Dimension des Glücks. Sie entstehen vor allem dann, wenn du deine individuellen Stärken einsetzt – ein bedeutendes Konzept auch in der Positiven Psychologie.
Tipp für dich: Finde und nutze deine Stärken. Die Anwendung deiner Stärken im Beruf oder in der Freizeit sorgt nicht nur für bessere Ergebnisse, sondern auch für mehr Lebensfreude (Peterson & Seligman, 2004).
Außerdem: Finde heraus, was dich wirklich begeistert und wie du es in dein Leben integrieren kannst. Wähle die Aktivitäten, die dich herausfordern (aber nicht völlig überfordern).
3. Beziehungen (R – Relationships)
Vielleicht hast du es selbst schon erlebt: Weniges beeinflusst unser Glück so stark, wie die Qualität unserer Beziehungen. Ob enge Freundschaften, Familie oder ein unterstützendes Arbeitsumfeld – soziale Bindungen sind unerlässlich für psychisches Wohlbefinden. Die Harvard-Studie über Erwachsenwerden (Harvard Study of Adult Development) – eine der längsten Studien zur menschlichen Entwicklung – zeigt, dass Menschen mit starken sozialen Verbindungen zufriedener und gesünder sind und länger leben (Waldinger & Schulz, 2016).
Tipp für dich: Verbringe bewusst Zeit mit Menschen, die dir gut tun und dir wichtig sind. Kleine Gesten der Wertschätzung, wie ein aufmerksames Gespräch oder ein unerwartetes Lob, können Wunder wirken.
Außerdem: Übe aktives Zuhören. Macht einen gemeinsamen Stärkentag, an dem ihr das unternehmt, was euch richtig guttut.
4. Sinn (M – Meaning)
Sinnhaftigkeit bedeutet, das eigene Leben als bedeutsam zu erleben und sich mit etwas Größerem verbunden zu fühlen. Ob durch Arbeit, Ehrenamt, Familie oder spirituelle Praktiken – das Gefühl, einen Beitrag zu leisten, ist eine essenzielle Quelle für inneres Glück. Studien belegen, dass Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben sehen, ein höheres Wohlbefinden und eine bessere psychische Gesundheit haben (Park, 2010; Ryff & Keyes, 1995; Steger et al, 2008).
Tipp für dich: Frage dich: „Wofür stehe ich?“ und „Was will ich anderen hinterlassen?“ Regelmäßige Reflexion über deine Werte und Ziele kann für mehr Klarheit und Erfüllung sorgen.
Außerdem: Reflektiere über deinen Beitrag zur Welt. Engagiere dich für bedeutsame Ziele.
5. Zielerreichung (A – Accomplishment)
Erfolg, das Erreichen von Zielen und das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken das Selbstwertgefühl und fördern das Wohlbefinden (Bandura, 1997). Dabei geht es nicht nur um materielle Erfolge, sondern auch darum, kleine Meilensteine zu feiern, die uns Schritt für Schritt voranbringen. Carol Dweck’s Forschung zum Thema „Growth Mindset“ zeigt, wie wichtig unsere Einstellung zu Herausforderungen und Rückschlägen ist (Dweck, 2006).
Tipp für dich: Setze dir realistische und bedeutungsvolle Ziele. Reflektiere regelmäßig über deinen Fortschritt und belohne dich bewusst für deine Erfolge – auch für die kleinen.
Außerdem: Entwickle ein Growth Mindset. Lerne aktiv aus Fehlern (Fehler sind nur ein Hinweis darauf, wie es nicht funktioniert hat, mehr nicht).
6. Das V für Vitalität – die spätere Ergänzung des PERMA Modells
Nach einiger Zeit wurde das PERMA Modell noch um ein V für Vitalität ergänzt. Aber was genau ist Vitalität? Vitalität beschreibt mehr als nur körperliche Fitness oder Energie. Ryan und Frederick (1997) definieren Vitalität als die bewusste Erfahrung von Lebendigkeit, Energie und Enthusiasmus. Es ist das Gefühl, lebendig und aktiviert zu sein, körperlich, emotional und mental. Aktuelle Forschung von Penninx et al. (2019) zeigt, dass subjektive Vitalität eng mit besserer psychischer Gesundheit, höherer Resilienz, gesteigerter kognitiver Leistungsfähigkeit und verbesserter Immunfunktion zusammenhängt.
Tipp für dich: Die SPIRE-Technik für Vitalität (nach Shirom-Melamed, 2006) gibt dir gute Anhaltspunkte für mehr Vitalität in deinem Leben:
- S: Sleep (Schlaf optimieren)
- P: Physical Activity (Bewegung integrieren)
- I: Integration (Balance finden)
- R: Renewal (Regeneration ermöglichen)
- E: Energy Management (Energiehaushalt steuern)
Außerdem: Achte auf deine Enährung.
Flourishing: Wenn du aufblühst
„Flourishing“ bedeutet, nicht nur zufrieden zu sein, sondern in allen Lebensbereichen aufzublühen. Es ist der Zustand, in dem du dich erfüllt fühlst, positive Beziehungen pflegst und deine Potenziale ausschöpfst. Laut einer Studie von Keyes (2002) florieren etwa 18 Prozent der Menschen vollständig, während 53 Prozent sich in einem „mittleren Zustand“ befinden und 29 Prozent psychisch belastet sind.
Keyes unterscheidet zwischen emotionalem Wohlbefinden, psychologischem Wohlbefinden und sozialem Wohlbefinden. Wichtig ist, wie diese drei Aspekte zusammenwirken. Interessanterweise haben Studien gezeigt, dass Flourishing nicht nur die persönliche Zufriedenheit steigert, sondern auch zu gesellschaftlicher Stabilität und Produktivität beiträgt (Keyes, 2007).
Wie kommt man zum „Flourishing“? Neben den PERMA-Dimensionen spielen tägliche Gewohnheiten eine Rolle: guter Schlaf, regelmäßige Bewegung, bewusste Ernährung, Meditation und der Verzicht auf übermäßigen Medienkonsum fördern das Aufblühen.
Praktische Implementierung:
- Selbsteinschätzung: Beginne damit, dein aktuelles Wohlbefinden in den PERMAV-Dimensionen zu evaluieren. Wo stehst du? Wo möchtest du dich entwickeln?
- Entwickle einen persönlichen Flourishing-Plan:
- Wähle für jeden PERMA-Bereich konkrete Aktivitäten
- Setze realistische Ziele
- Etabliere unterstützende Gewohnheiten
- Überprüfe regelmäßig deinen Fortschritt
- Nachhaltige Integration:
- Baue kleine Veränderungen in deinen Alltag ein
- Bleibe flexibel und passe an
- Suche dir Unterstützung
- Feiere Fortschritte
Herausforderungen und Hindernisse: Auch wenn der Weg zum Flourishing wissenschaftlich gut erforscht ist, gibt es typische Stolpersteine:
- Überforderung durch zu viele Veränderungen
- Unrealistische Erwartungen
- Vernachlässigung einzelner PERMA-Bereiche
- Mangelnde Konsistenz
Fazit: Positive Psychologie als innere Haltung
Positive Psychologie ist weit mehr als eine akademische Disziplin – sie ist ein Werkzeugkasten für ein erfüllteres Leben und eine positive, stärken- und sinnorientierte Haltung. Indem du die Prinzipien des PERMA-Modells in deinen Alltag integrierst und dich auf das Konzept des Flourishing fokussierst, kannst du deine Lebensqualität nachhaltig verbessern. Ein glückliches Leben entsteht nicht durch äußere Umstände allein, sondern durch die bewusste Entscheidung, dein Denken, Fühlen und Handeln darauf auszurichten.
Also, worauf wartest du? Beginne noch heute damit, kleine, positive Schritte in Richtung eines erfüllten Lebens zu machen. Denn du hast es in der Hand!
Weiterführende Ressourcen:
- The How of Happiness von Sonja Lyubomirsky (2007)
- VIA Character Strengths Survey (viacharacter.org)
- Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience. Harper & Row.
- Emmons, R. A., & McCullough, M. E. (2003). Counting blessings versus burdens: An experimental investigation of gratitude and subjective well-being in daily life. Journal of Personality and Social Psychology, 84(2), 377–389.
- Fredrickson, B. L. (2001). The role of positive emotions in positive psychology: The Broaden-and-Build Theory of positive emotions. American Psychologist, 56(3), 218–226.
- Keyes, C. L. (2002). The mental health continuum: From languishing to flourishing in life. Journal of Health and Social Behavior, 43(2), 207–222.
- Peterson, C., & Seligman, M. E. P. (2004). Character Strengths and Virtues: A Handbook and Classification. Oxford University Press.
- Seligman, M. E. P. (2011). Flourish: A Visionary New Understanding of Happiness and Well-being. Free Press.
- Waldinger, R., & Schulz, M. (2016). The Harvard Study of Adult Development. Harvard Business Review.
- Dweck, C. S. (2006). Mindset: The New Psychology of Success. Ballantine Books.
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